„Indeed it has been said that democracy is the worst form of Government except for all those other forms that have been tried from time to time.” (Langworth 2008: 574, zitiert nach Churchill 1947)
Bereits der Begriff der Demokratie spiegelt seine historische Tiefe wider. Er lasse sich aus den griechischen Wörtern „demos“ (Volk, Vollbürgerschaft) und „kratein“ (herrschen, Macht ausüben) herleiten (Schmidt 2010: 17). „Demokratie ist insoweit Herrschaft oder Machtausübung des Volkes oder Herrschaft der Vielen, im Unterschied zur Herrschaft der Wenigen, wie in der Aristokratie oder der Oligarchie, oder zur Einerherrschaft, wie im Falle der Monarchie oder der Tyrannis“ (Schmidt 2010: 17).
Das moderne Demokratieverständnis fußt vor allem auf dem liberal-demokratischen Selbstverständnis der Vereinigten Staaten, das Abraham Lincoln in seiner berühmten Gettysburg Address wie folgt formulierte: „government of the people, by the people, for the people“ (The White House). Seine Basis bildet im Rousseau’schen Sinne ein Gesellschaftsvertrag, in dem das Individuum bestimmte Kompetenzen, wie das Gewaltmonopol und die Sanktionsgewalt, an den Staat transferiert. Dadurch „[…] verliert der Mensch seine natürliche Freiheit und das unbegrenzte Recht auf alles, was er begehrt. Doch dafür erhält er die bürgerliche Freiheit und das Eigentum an allem, was er besitzt […]“ (Schmidt 2010: 85). Liberale Demokratien gewähren dem Einzelnen in dieser Hinsicht die Möglichkeit, sich selbst zu entfalten. Insofern ist der Staat als Diener des souveränen Volkes zu verstehen. Der Liberalismus betrachtet das Individuum dabei als rationales Wesen, welches in der Lage ist, seine eigenen natürlichen Grenzen zu überwinden und in diesem Zuge auch die Gesellschaft als Ganzes voranzubringen (Vgl. Trueman).
In der Abgrenzung von Demokratien und Nicht-Demokratien wird zumeist zunächst die Minimaldefinition der elektoralen Demokratie angeführt (Vgl. hierzu etwa Stykow 2007: 47). „In solchen politischen Systemen werden die Regierenden durch regelmäßig stattfindende, freie und faire Wahlen bestimmt. Demokratie bedeutet damit ‚Herrschaft auf Zeit‘ durch ihre Rückbindung an den Wählerwillen. Sie ist ‚Volksherrschaft‘ […] im Sinne einer repräsentativen Demokratie, also Elitenherrschaft mit Zustimmung des Volkes“ (Stykow 2007: 47; Hervorhebung im Original). Damit unterscheidet sie sich vom antiken Demokratieverständnis, das konzeptionell von einer direkte Herrschaftsausübung ausging. Giovanni Sartori (1992: 276) zufolge konnte dieses antike Ideal jedoch auch in der griechischen Polis nicht voll verwirklicht werden.
Doch um offenen Wettbewerb um politische Ämter und damit auch um Macht sowie – dies sieht Dahl als weiteres wichtiges Kriterium – die freie Formulierung von Präferenzen gewährleisten zu können, seien sechs „institutionelle Minima“ vorausgesetzt (Styckow 2007: 51, nach Dahl):
1. Politische Entscheidungen werden ausschließlich von vermittels Wahlen befugten Repräsentanten getroffen
2. Freie, faire und regelmäßige Wahlen
3. Recht auf freie Meinungsäußerung
4. Freier Zugang der Bürger zu alternativen und unabhängigen Informationsquellen
5. Recht auf Gründung von – und Engagement in – Organisationen und Vereinigungen
6. Beteiligung aller Bürger mit Vollendung der Volljährigkeit, insbesondere vermittels aktivem und passivem Wahlrecht (Recht, Amtsinhaber zu wählen / Recht, selbst in ein Amt gewählt zu werden)
Merkel et al. (2003) sehen (liberal) demokratische Systeme durch die Interdependenz von fünf Teilregimen gekennzeichnet:
1. allgemeine, gleiche, freie und faire Wahlen, die gestützt werden durch
2. politische Partizipation
3. bürgerliche Freiheitsrechte
4. horizontale Gewaltenkontrolle sowie
5. effektive Regierungsgewalt, bei der die Macht der gewählten Entscheidungsträger nicht durch andere Akteure, wie etwa das Militär, untergraben wird.
Entsprechend ihrer essentiellen, wechselseitigen Einbettung in das politische Gesamtsystem wird dieses Konzept als embedded democracy bezeichnet (Merkel et al. 2003: 49 ff.).
Bereits die hier vorgestellte selektive Auswahl demokratietheoretischer Ansätze lässt jedoch im Hinblick auf die Formel „government of the people, by the people, for the people“ bisweilen erheblichen Spielraum. Freedom House Index zufolge gab es im Jahr 2009 116 elektorale Demokratien (Puddington 2010: 1). Von ihnen werden jedoch lediglich 89 als frei eingestuft (Puddington 2010: 4). Somit können politische Systeme, die als (elektorale) Demokratien bezeichnet werden, bisweilen erhebliche Mängel aufweisen. Merkel (Vgl. 1999, 2003) etwa, bezeichnet diese Grauzone zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien als „Defekte Demokratien“, bei denen das Zusammenspiel der fünf Teilregime (Wahlen, Partizipation, bürgerliche Freiheitsrechte, Gewaltenteilung und effektive Regierungsgewalt) zwar deutlich beeinträchtigt, jedoch nicht als autokratisch einzustufen sei. Auch bei Merkel gelten Wahlen jedoch als Minimalvoraussetzung.
Während einer Systemtransformation werden drei Phasen durchlaufen (Vgl. Merkel 1999):
1. Ende des alten autokratischen Systems ausgelöst durch interne (z.B. ökonomische Effizienz bzw. Ineffizienz, politische Schlüsselereignisse)oder externe Faktoren (z.B. Kriegsniederlagen, Wegfall externer Unterstützung bzw. Bedrohung, Dominoeffekt) in
a. einer langandauernden Evolution
b. einem von den Eliten des alten Regimes gelenktem Systemwechsel
c. einem von unten erzwungenem Systemwechsel
d. einem Systemwechsel, der zwischen Regime- und Oppositionseliten ausgehandelt wird
e. einem Regimekollaps
f. der Neugründung von Staaten
2. Institutionalisierung des neuen demokratischen Systems durch
a. Übergang der Kontrolle politischer Entscheidungen von den etablierten, im Zuge des Endes autokratischer Herrschaft jedoch erodierenden Eliten auf demokratische Verfahren
b. Öffnung des politischen Handlungsspielraums im Hinblick auf die Neugestaltung des Systems
c. Selbstbegrenzung der Übergangseliten im Hinblick auf den zukünftigen politischen Handlungsspielraum
d. im besten Fall: Normierung des „politischen Wettbewerbs“ sowie der „politischen Entscheidungsverfahren“ und Etablierung neuer demokratischer Institutionen (Merkel 1999: 137)
3. Konsolidierung der neu institutionalisierten Demokratie: Stabilisierung der demokratischen Verfahren sowie des gesamten politischen Systems vollendet, wenn
a. erste Wahlen durchgeführt werden
b. die neue Verfassung verabschiedet bzw. die alte Verfassung demokratisch revidiert wird (Normierung der wichtigsten politischen Verfahren, Etablierung zentraler politischer Institutionen, Einschränkung des politischen Handlungsspielraums)
Eine Transformation autokratischer Systeme birgt jedoch stets die Gefahr einer Etablierung defekter sowie auf lange Sicht bisweilen instabiler Demokratien. Gerade im Hinblick auf die Aufgabe, den politischen Handlungsspielraum so zu begrenzen, dass die Möglichkeit des Machtmissbrauchs nivelliert werden kann.
Es gibt zahlreiche Kritikpunkte, die gegen die theoretische und tatsächliche Konstruktion liberaler Demokratien vorgebracht werden. Einige selektive Kritikpunkte seien im Folgenden andiskutiert.
Ein entscheidender Schwachpunkt von Demokratietheorien ist grundsätzlich die definitorische Unsicherheit. Dies zeigt bereits das Vorhandensein des Begriffs der „Defekten Demokratie“, einer Grauzone zwischen Autokratie und Demokratie.
Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die Frage nach den partizipierenden Akteuren. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika, die als erste liberale Demokratie gelten, entsprachen zunächst nicht dem liberal-demokratischen Ideal, da sie bis ins 20. Jahrhundert vor allem die schwarze Bevölkerung, aber auch Frauen, von den partizipatorischen Rechten ausschloss. Bis heute bleibt die Frage nach dem „Vollbürger“ (Schmidt 2010: 83) offen, vor allem im Hinblick auf Migranten.
Der Umsetzung des omni-partizipatorischen Ideals sind in der Realität weitere natürliche Grenzen gesetzt, wodurch sich ein latentes Legitimationsdefizit ergibt. Die Herrschaft einer Elite (Stykow 2007: 47) birgt stets die potentielle Gefahr eines Machtmissbrauchs, der in wesentlichen Zügen eingegrenzt, jedoch nicht vollkommen verhindert werden kann. Die Frage ist, inwieweit der einzelne Bürger in die politischen Entscheidungsprozesse, etwa vermittels Diskurse, eingebunden werden kann. Ein Ansatz bietet hier die Theorie der Deliberativen Demokratie (vgl. hierzu etwa Habermas 1992).
Die Frage ist zudem, inwieweit das Modell der liberalen Demokratie auf Staaten übertragbar ist, die außerhalb (West-) Europas und Nordamerikas liegen. Historisch-generische Zugänge betonen die hohe Relevanz seines Entstehungskontextes, welcher maßgeblich durch ein einzigartiges Zusammenspiel entscheidender Entwicklungen, wie etwa der Säkularisierung und der Öffnung der Märkte, geprägt ist.
Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt a.M.
Hall, Stuart (2002): Cultural Representations and Signifying Practices. London/Thousand Oaks/New Dheli.
——— (2004): “The West and the Rest: Discourse and Power”. In: ders. / David Held/ Don Hubert/ Kenneth Thompson (Hrsg.). Modernity. An Introduction to Modern Societies. Malden/Oxford/Victoria, S. 184-224.
Langworth, Richard M. (2008): Churchill by himself. New York.
Puddington, Arch (2010): „Freedom in the World 2010. Erosion of Freedom Intensifies“. Auf: http://www.freedomhouse.org/uploads/fiw10/FIW_2010_Overview_Essay.pdf. Abgerufen am 20. Juni 2011.
Sartori, Giovanni (1992): Demokratietheorie. Darmstadt, S. 274-290.
Schmidt, Manfred G. (2010): Demokratietheorien. Eine Einführung. Bonn.
The White House (Hrsg.) (o.J.): „Abraham Lincoln“. Auf: http://www.whitehouse.gov/about/presidents/abrahamlincoln. Abgerufen am 17. Juni 2011.
Trueman, Chris (o.J.): „Liberal Democracy“. Auf: http://www.historylearningsite.co.uk/liberal_democracy.htm. Abgerufen am 17. Juni 2011.